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Die Einheit von Idee und Technik
Reinhild Zietz hat eine sehr eigenständige Bildform entwickelt, die eine Brücke zwischen der europäischen und chinesischen Malkultur schlägt.
Ihre ebenso abstrakte wie reale Sichtweise auf die Landschaft, ihre virtuosen Farbkompositionen mit Tusche (in Verbindung mit Acryl) und die spontan gesetzten Zeichen mit breiten, schweren „Pinselhieben“ sind dem kalligraphischen Ausdruck ostasiatischer Malerei ebenso nahe wie der europäischen und amerikanischen Gestik des Informel und des abstrakten Expressionismus.
In einem der zahlreichen Künstlergleichnisse aus dem alten China wird erzählt, wie der Kaiser mehrere Künstler an den Hof bittet, um die Wände seines Palastes auszumalen. Alle Eingeladenen, bis auf einen, machen sich sofort an die Arbeit, da nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Trotz mehrfacher Aufforderung behält der offenbar arbeitsunlustige Meister sein außergewöhnliches Verhalten bei. Erst Minuten vor dem offiziellen Übergabetermin malt er vor den Augen des erstaunten Auftraggebers eine in den feinsten Nuancen lebendige Landschaft, in die er nach dem letzten Pinselstrich eintaucht und allmählich verschwindet.
Viele Werke von Reinhild Zietz scheinen nach dem gleichen Prinzip entstanden zu sein. Das Bild steht fertig vor Augen der Künstlerin, bevor es mit hohem technischen Können in Form, Farbe und Bewegung umgesetzt wird. Alle Stadien des bildnerischen Entstehungsprozesses, von der Idee zur Ausführung, haben in der Imagination eine Verdichtung erfahren, die sich als ein ebenso direkter wie selbstverständlicher Akt auf dem Bildträger niederschlägt. Die alten taoistischen Philosophen Chinas nannten diese Haltung ein „Tun ohne Tun“.
Der Sinn dieses Gleichnisses liegt in dem Einklang von Geist und Materie, der sich erst nah langer Konzentration und über eine perfekte Technik einstellt. Das gilt ebenso für die Malerei wie für die Schrift, die im alten China ein fester Bestandteil der Kunst war.
Die Faszination, die von der chinesischen und japanischen Kultur und Kunst ausgeht, hat die Vorstellungen vieler Künstlerinnen und Künstler der Moderne – vor allem im späten 19. Jahrhundert und im so genannten „Weltreich der Abstraktion“ nach 1945 – stark beeinflusst. Reinhild Zietz gehört zu denen, die in der Auseinandersetzung mit den bedeutenden bildnerischen Traditionen des Fernen Ostens und Europas ein unverwechselbares Profil gewonnen haben.
Prof. Dr. Hans-Joachim Manske
Direktor der Städtischen Galerie Bremen
Katalog BEIJING, 2000